Texte im Untergrund
16.06.2014 - Die Vorleseshow im NIL-Klub wagt riskante Blicke in die Abgründe zwischen Mikroprosa und Flaschenbier.
Konrad Endler und Jobst verlesen, was sie vorher aufgeschrieben haben.
Mira Jones bekämpft die Stille dazwischen mit Liedern aus dem Elektrogerät.
Der Juni-Gastleser heißt:
* Frank Blöcher *
Für nur 3 Euro gibt's ca. 11 mundverlesene Texte, dazu ein Quiz mit berüchtigten Preisen, ein untergründiges Symbol und ein Open Mike für Leute die einen selbstbeschriebenen Zettel dabei haben.
Vor-Geschichte Nr. 79:
Katharsis. Es war wieder einmal Zeit für Katharsis. William stapfte zum Gartenteich von Familie Erbsleben, denn Katharsis hieß für William nichts anderes als Waschen. Er liebte es, in Allegorien zu reden und zu denken. Allegorien geben dem Leben neue Dimensionen, lautete Williams Motto. Man wusch sich nicht einfach nur die Hände, sondern reinigte sich symbolisch von allen Übeln der Welt und natürlich auch von Schuld. Und Schuld empfand William in fast jeder Minute. Ein Fremder war er hier in diesem Land, ein Einwanderer, ein Migrant fern einer Heimat, die er nie gesehen hatte. Er war zu Gast, und dennoch fügte er seinen Gastgebern stets nur Schaden zu. Aber was sollte er tun ? William war ein Waschbär. Er tauchte sinnierend seine Pfoten in den Teich. Triebgesteuert war er. Der Fresstrieb zwang ihn dazu, die Eier von Blaumeisen zu rauben und die gelben Säcke am Tag der Abfallentsorgung wieder zu öffnen. Der Sexualtrieb brachte ihn dazu, immer neue Waschbären in die Welt zu setzen. Alle hassten ihn. Die Blaumeisen hassten ihn, aber auch die Füchse, die Marder, die Elstern, die Spitzmäuse und natürlich alle Haustiere, von deren Besitzern ganz zu schweigen. Und sie hassten ihn zu Recht, denn wenn William nicht grad sie selbst verspeiste, so doch ihr Abendbrot. Dennoch fühlte sich William deswegen keineswegs hilflos, vielmehr ratlos darüber, mit welcher poetischen Wendung er seine Lage benennen sollte. Dilemma ? Debakel ? Crux ? Kafkaeske Fügung ? Wisst Ihr es ? Nein ? Dann kommt Freitag in den Untergrund.
Veröffentlicht von:
Nil StudentInnenkeller
