Oberbürgermeister erinnert an die "Nacht von Potsdam"
Oberbürgermeister Jann Jakobs hat heute auf der Gedenkveranstaltung an die „Nacht von Potsdam“ an die Schrecken des Luftangriffs der Alliierten auf Potsdam in der Nacht vom 14. auf den 15 April 1945 erinnert. Er mahnte, Verantwortung zu übernehmen, "für das, was war und das, was kommen wird“. Dazu gehöre Gedenken und Erinnern. Aber dazu gehörten auch Aufarbeiten und Wiedererrichten. Wir dokumentieren die Rede nachfolgend:
*** Es gilt das gesprochene Wort ***
"Sehr geehrte Herr Frank, sehr geehrter Herr Leinemann, sehr geehrte Frau Radeke-Engst, sehr geehrte Potsdamerinnen und Potsdamer,
dieses Jahr 2014 ist kein gewöhnliches Jahr. Es ist wird gerne „Supergedenkjahr“ genannt. Und obwohl ich diese Form der verharmlosenden und plakativen Darstellung nicht wirklich angemessen finde, so ist doch offensichtlich, dass wir dieses Jahr eine besonders große Anzahl von runden Gedenktagen feiern. Viele davon reichen in das vergangene Jahrhundert zurück und bilden markante Meilensteine der deutschen, der europäischen, ja der Weltgeschichte: 1914, 1939, aber auch 1989.
Wir in der Landeshauptstadt Potsdam haben uns entschieden, nicht rein ritualisierte Gedenktagsroutine walten zu lassen, die im schlimmsten Fall in einer puren Form der „Kranzabwurfssemantik“ gipfelt.
Deswegen haben wir in einem mehrstufigen und weiterhin fortschreitenden Prozess unter reger Beteiligung von Potsdamer Bürgern, Verbänden und Initiativen ein Erinnerungskonzept auf den Weg gebracht, das eine wahrhaft inhaltliche Auseinandersetzung mit der Gedenk- und Erinnerungskultur, den passenden Gedenkorten und relevanten Gedenktagen erst wirklich ermöglicht. Zu den Gedenktagen, welche für die am Konzept Beteiligten von besonderer Bedeutung sind, zählen neben dem Holocaust-Gedenktag am 27 Januar, dem Tag des Mauerbaus am 13. August und dem 9. November in seiner Mehrfachbedeutung für die Erinnerung an die Pogromnacht 1938 und an den Mauerfall 1989 auch die Nacht von Potsdam am 14. April.
Warum ist dieser Gedenktag für unsere Stadt so wichtig? Am besten ist es, wir versetzen uns einfach knapp sieben Jahrzehnte zurück:
Der 14. April 1945 war ein sonniger und warmer Frühlingstag. Ein Sonnabend. Die in Potsdam verbliebenen Menschen bereiteten sich auf einen arbeitsfreien Sonntag vor. Es waren aber keine unbeschwerten Tage. Der Krieg bestimmte den Alltag der Potsdamer. Die Rote Armee stand bereits an der Oder und bereitete den Sturm auf Berlin und die Umklammerung der Reichshauptstadt vor. Der Status von Potsdam war völlig unklar.
Würde man „offene Stadt“ sein oder als Festung verteidigt? Diese Gedanken gingen den Potsdamerinnen und Potsdamern durch den Kopf, als sie am Nachmittag die ersten Bomber über Potsdam hinweg fliegen sahen. „Die gehen wieder gegen Berlin“ war überall zu hören, denn bislang war die alte Garnisonsstadt Potsdam weitestgehend verschont geblieben.
Doch nicht in dieser Nacht!
Als der australische Oberleutnant Hugh Le Good um 22:39 Uhr im „Master Bomber“ über dem wolkenlosen Himmel über Potsdam den Befehl zum Bombenabwurf gab, gingen in nur 30 Minuten aus den Schächten der 724 Flugzeuge - größtenteils große Lancaster-Bomber - insgesamt 1752 Tonnen Bomben auf die Stadt nieder.
Zunächst kamen die Beleuchtungsbomben und setzten Gebäude in Brand. Die alte Residenzstadt war taghell erleuchtet. Dann folgten die Sprengbomben. Die meisten fielen im Bereich des Hauptbahnhofs, der Gleisanlagen, der Freundschaftsinsel und der Altstadt. Voll beladene Munitionszüge gingen in die Luft, ein Lazarettzug wurde fast vollständig verwüstet. Ein Inferno mit dramatischen Folgen.
Die Potsdamer Innenstadt lag in Trümmern, das Stadtschloss wurde größtenteils zerstört, ebenso Turm und Kirchenschiff der Garnisonkirche. Andere wertvolle Bauwerke wie das Alte Rathaus oder die Nikolaikirche am Alten Markt wurden schwer beschädigt.
Die Zahlen der Opfer sind wirklich erschütternd. In der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 starben 1593 Menschen in Potsdam, darunter viele Flüchtlinge aus dem Osten, aber auch 28 Zwangsarbeiter aus Polen und Frankreich, die in den Arado-Flugzeugwerken eingesetzt wurden und 70 Patienten des städtischen Krankenhauses in der Nähe des Bassinplatzes.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir gedenken heute den Toten und den Opfern dieser Nacht. Wir tun dies in Stille und mit dem Versprechen verbunden, dass dies für uns eine ewige Mahnung bleiben soll.
Ich möchte hier an dieser Stelle hinzufügen, dass wird eine Diskussion, ob Potsdam aus rein militärischen oder auch teilweise symbolischen Gründen so spät im Krieg noch zerstört wurde, nicht führen sollten. Ich denke auch, dass diese Frage für unser Gedenken am heutigen Tag von nachrangiger Bedeutung ist. Wir sollten uns dieser Nacht aus unserer heutigen Perspektive widmen.
Wie nah wir nicht nur zeitlich diesen schrecklichen Tagen heute noch sind, können wir immer wieder erleben, wenn Weltkriegsbomben in unserer Stadt gefunden werden, es sind bereits 152 seit der Wiedervereinigung und alleine drei Bomben in diesem Jahr. Die Schrecken der Vergangenheit mögen unter einer Patina der Jahrzehnte versteckt sein, doch sie sind immer noch gegenwärtig. Sie bleiben relevant.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
eines möchte hier und heute auch ganz klar sagen. Die Nacht von Potsdam ist ohne den Tag von Potsdam nicht denkbar. Und eine Erinnerung ausschließlich an diese schreckliche Nacht, so furchtbar sie auch war, greift daher viel zu kurz.
Denn wer „Nacht von Potsdam“ oder auch „Bombennacht von Dresden“ sagt, der muss auch „Guernica“ sagen. Der darf „Warschau“ nicht vergessen und „Rotterdam“ nicht und auch nicht „Coventry“.
Es war der deutsche Rassen- und Größenwahn, der zu diesem verbrecherischen Vernichtungskrieg mit vielen Millionen Toten geführt hat und der auch Potsdam nicht verschonte.
Der Tag von Potsdam und die Nacht von Potsdam stehen in einem engen Zusammenhang. Und auch die Potsdamer Konferenz im Juli 1945 gehört in diesen Kontext. Denn hier wurden nicht nur wichtige Schritte der kommenden europäischen Teilung quer durch Deutschland vereinbart. Während der Konferenz gab US-Präsident Truman im „Little White House“ in Babelsberg - seiner Residenz während der Viermächte-Konferenz - die Order an das US-Militär, ein nicht zur Kapitulation bereites Japan mittels Atombomben in die Knie zu zwingen. Wie wir heute alle wissen, hat dieser schreckliche Plan funktioniert. Eine neue Qualität der Bedrohung, ein neuer Maßstab für den Schrecken.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir müssen Verantwortung übernehmen, für das, was war und das, was kommen wird. Dazu gehören Gedenken und Erinnern. Aber dazu gehören auch Aufarbeiten und Wiedererrichten. Deshalb kann ich Sie auch nur einladen, auch weiterhin gemeinsam mit uns Perspektiven einer städtischen Gedenkkultur zu entwickeln.
Denn aus der Geschichte zu lernen und die Zukunft zu gestalten, das ist unsere Aufgabe. Und ich lade Sie herzlich ein, hier Teil einer möglichen Lösung zu sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“
*** Es gilt das gesprochene Wort ***
Potsdam, 14.04.2014Veröffentlicht von:
Stadtverwaltung Potsdam
