Anlässlich des 73. Jahrestages des Kriegsendes - Aufrichtiges Gedenken an einen mörderischen Krieg
Mit einer Kranzniederlegung und Gedenkreden hat die Landeshauptstadt Potsdam am Dienstag anlässlich des 73. Jahrestages des Kriegsendes und der Befreiung vom Nationalsozialismus der Opfer des Zweiten Weltkrieges gedacht. Oberbürgermeister Jann Jakobs und die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Birgit Müller, legten am Sowjetischen Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz einen Kranz nieder. Der Oberbürgermeister hielt eine Gedenkrede, die wir hier dokumentieren:
„Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,
sehr geehrte Vertreter der Botschaften der Ukraine, der Republik Belarus und der Russischen Föderation, sehr geehrter Herr Muck, sehr geehrter Herr Orlow,sehr geehrte Stadtverordnete, meine Damen und Herren, nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 schwiegen die Waffen. Endlich. Endlich war der Zweite Weltkrieg in Europa beendet. Endlich war dem millionenfachen Töten und Morden ein Ende gesetzt.
Wir erinnern heute an diesen Tag, der in Europa von entscheidender historischer Bedeutung ist. Gemeinsam gedenken wir mit den ehemaligen Kriegsgegnern und mit Vertretern der Länder, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unsägliches Leid erfahren mussten. Und viele Nationen gedenken heute und morgen des Tages, an dem der mörderischste Krieg in der Weltgeschichte sein Ende nahm.
Der Blick auf das Ende des Zweiten Weltkrieges und die gesellschaftliche Auseinandersetzung, ja das Ringen um die Bedeutung des 8. Mai spiegeln zugleich die ganz unterschiedlichen Erfahrungen wider: So steht auch heute noch dieser Tag zwischen den Polen von Befreiung und Niederlage, Sieg und Kapitulation.
Als Befreiung erlebten all jene die bedingungslose Kapitulation, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten hatten und denen der verbrecherische Charakter von Hitlers Herrschaft bewusst gewesen war.
Aufatmen konnten all jene, die unter der nationalsozialistischen Diktatur geächtet, verfolgt, weggesperrt und unter Zwangsarbeit ausgebeutet wurden. Die in Konzentrationslagern verschleppt worden und nur knapp dem Tod entkommen waren. Sie wurden aus tiefster Demütigung und Todesgefahr befreit. Sie hatten allen Grund zur Freude und Erleichterung darüber, dass das nationalsozialistische Deutschland besiegt worden war.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung – dies muss man so sagen – erlebte den Sieg der Alliierten letztlich als einen geistigen und moralischen Bankrott der deutschen Gesellschaft.
In den letzten Kriegstagen stellten sich viele Deutsche die Frage: Haben wir nicht unsere Zukunft, unsere Daseinsberechtigung gänzlich verspielt? In der allgegenwärtigen Angst vor einer Rache der Sieger – die weitgehend ausblieb – kommt das Bewusstsein der Mitverantwortung an die Kriegsgräuel in weiten Teilen der Bevölkerung zum Ausdruck.
Der 8. Mai 1945 ist damit nicht vom 30. Januar 1933 zu trennen. Die Machtübergabe an Adolf Hitler begleitete den Jubel so vieler Menschen, die dieser neuen Bewegung verfallen waren und die Augen schlossen oder wegsahen und es stillschweigend duldeten, wenn Kritiker des Systems und Andersdenkende verfolgt und weggesperrt wurden.
Als die alliierten Soldaten und insbesondere die Rote Armee unter schwersten Opfern den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland erkämpft und errungen hatten, da erhielten die Deutschen die Chance, sich von den politischen Verblendungen und dem historischen Irrweg der Jahre 1933 bis 1945 zu lösen.
Diese Chance haben wir letztlich durch unsere kritische, auch schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit genutzt, indem wir uns gestellt haben der unvergleichlichen Monstrosität des Holocaust, der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der schrecklichen Kriegsverbrechen in den von Deutschland besetzten und ausgebeuteten Ländern. Mehr denn je erfordert der Blick in die dunkle Vergangenheit unsere ganze Aufmerksamkeit. Denn die Grenze zwischen gelebter Erinnerung und der vergehenden Geschichte wird immer sichtbarer. Diese Grenze wird sichtbarer, weil es immer weniger Zeitzeugen gibt, die uns ihre persönlichen Erfahrungen mitgeben könnten.
Wir Nachgeborenen haben nur die Möglichkeit, uns die Erinnerungen anzueignen und uns damit der eigenen Geschichte zu stellen. Dabei gilt es anzuerkennen, dass Deutschland die politische und militärische Katastrophe selbst verschuldet hat.
Es gilt, jegliche Legendenbildung der Niederlage abzuweisen.
Es gilt, Opfer und Täter klar zu benennen.
Es gilt, Verantwortung für die Folgen des verursachten Krieges zu übernehmen.
Erst der verantwortliche Umgang mit der eigenen Geschichte ermöglicht verantwortliches Handeln in der Gegenwart. So wird der 8. Mai zu dem, was wir aus ihm machen. In unserem aufrichtigen Gedenken an die Toten offenbart sich die Wahrhaftigkeit des 8. Mai.
So gedenken wir in Trauer der 60 Millionen Todesopfer des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir gedenken der 6 Millionen ermordeten europäischen Juden. Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der Homosexuellen, der Geisteskranken, die ihres Anspruches auf ein Leben beraubt wurden.
Wir gedenken der Menschen, die wegen ihrer politischen und religiösen Überzeugungen in den Tod gehen mussten. Wir gedenken der Soldaten, die ihr oft so junges Leben ließen, als sie Potsdam vom Nationalsozialismus befreiten und die auf diesem Friedhof ruhen.
Lassen Sie uns nun eine Minute still schweigen zu Ehren der Toten des Krieges.“
Potsdam, 09.05.2018Veröffentlicht von:
Stadtverwaltung Potsdam
