RBB-Doku zur Garnisonkirche betreibt Geschichtsverfälschung
15.04.2015 - Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche (BI) sieht in der RBB-Dokumentation "Geheimnisvolle Orte – Die Potsdamer Garnisonkirche – Ein preußisches Wahrzeichen" eine verpasste Chance, sich sachlich und ehrlich mit der Geschichte der ehemaligen Hof- und Garnisonkirche auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: Der Film von JOACHIM CASTAN betreibt mittels inhaltlicher Verkürzung und filmischer Stilmittel eine systematische Geschichtsklitterung. Die BI kritisiert insbesondere folgende Darstellungen:
DER "TAG VON POTSDAM – EIN "TAG DER HOFFNUNG"?
Die Dokumentation vermittelt ein positives Bild vom "Tag von Potsdam" am 21. März 1933. Gezeigt wird vor allem ein heiteres Volksfest mit jubelnden enschenmengen. Die aufmarschierende SA wird dagegen nur kurz gezeigt und als Randerscheinung abgetan. Auch ADOLF HITLER hätte damals angeblich nur eine Nebenrolle gespielt. Bekräftigt wird diese Darstellung durch den Zeitzeugen WILHELM STINTZING, der von einer positiven Grundstimmung berichtet. Der "Tag von Potsdam" wäre damals ein "Tag der Hoffnung" gewesen. Nicht gezeigt wird dagegen, dass am 21. März 1933 der nationalsozialistische Terror bereits in vollem Gang war. Hierzu ein paar Fakten aus dem Jahr 1933:
- 3. Februar: Fackelzug von SA, Stahlhelm und SS durch Potsdam, bei diesem Aufmarsch wird auf Gegendemonstranten geschossen
- 17. Februar: Verbände des Nationalsozialistischen Studentenbundes stürmen die Staatliche Kunstschule Berlin und misshandeln jüdische Professoren
- 27./28. Februar: Massenverhaftungen von mehr als 10.000 Gegnern der NSDAP, darunter Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter, bürgerliche Demokraten, Journalisten, wie CARL VON OSSIETZKY, EGON ERWIN KISCH, und Künstler, wie ERICH MÜHSAM
- 28. Februar: "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", Verhängung des Ausnahmezustandes in Deutschland, Beseitigung demokratischer Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinigungsrecht, Briefgeheimnis
- ab Anfang März: Angriffe auf Büros der SPD, Gewerkschaften und weiterer demokratischer Parteien, verbunden mit Verhaftungen, Mord, Raub und Plünderungen
- 9. März: antisemitische Ausschreitungen der SA gegen jüdische Geschäfte und Warenhäuser in Berlin
- 9. März: antisemitische Razzia der SA in der Spandauer Vorstadt in Berlin, jüdische Bürger werden verschleppt und gefoltert
-10. März: Angriffe der SA auf jüdische Geschäfte in Potsdam
- 21. März: Einrichtung des ersten Konzentrationslagers in Oranienburg-Sachsenhausen
Diesen Terror erwähnt die Dokumentation mit keinem Wort.
DER HANDSCHLAG ZWISCHEN HITLER UND HINDENBURG – EINE NEBENSÄCHLICHKEIT?
Trotz ausführlicher Darstellung behauptet die Dokumentation, dass der Handschlag zwischen ADOLF HITLER und PAUL VON HINDENBURG am "Tag von Potsdam" eine Nebensächlichkeit ohne Bedeutung gewesen wäre. In Wirklichkeit hatte es am 21. März 1933 drei Handschläge zwischen HITLER und HINDENBURG gegeben, einen zur Begrüßung, einen nach der Rede HITLERs in der Garnisonkirche und einen zur Verabschiedung. Der zweite Handschlag in der Garnisonkirche hatte durchaus eine große Symbolkraft, denn er symbolisierte die Stafettenübergabe von dem 85-jährigen HINDENBURG an den 43-jährigen HITLER und trug somit zur Legitimation des NS-Regimes bei. Dieser Handschlag wird in der Dokumentation allerdings völlig unterschlagen.
DIE GARNISONKIRCHE POTSDAM – EIN ORT DER "EHRE GOTTES" ODER DER KRIEGSPROPAGANDA?
In der Dokumentation wird immer wieder betont, dass die Garnisonkirche vor allem der "Ehre Gottes" gedient hätte. Nicht erwähnt wird dagegen die überragende Bedeutung der Garnisonkirche als Ort der Kriegspropaganda. Während des Kaiserreiches war sie vor allem ein Ort, an dem der Krieg verherrlicht, die bedingungslose Treue zum Kaiser gefordert und der "Heldentod fürs Vaterland" verklärt wurde. Während der Weimarer Republik diente die Garnisonkirche als Versammlungsort für rechtsradikale und antidemokratische Organisationen. Hier wurde gegen die Demokratie gehetzt und ein neuer Krieg propagiert. Während des Dritten Reiches war die Garnisonkirche eine wichtige Versammlungsstätte der NSDAP. Hier fanden bis in die letzten Kriegswochen Propagandaveranstaltungen der NSDAP und anderer nationalsozialistischer Organisationen statt. All diese Fakten werden in der Dokumentation ausgeblendet.
DIE GARNISONKIRCHE – EIN MÄRTYRER?
Sehr ausführlich wird dagegen die Sprengung der Ruine 1968 gezeigt. Den Höhepunkt markiert eine minutenlange Filmsequenz von der Sprengung der Kirche, die zudem mit Musik aus der "Johannes-Passion" von BACH unterlegt wird. Durch diese Montage wird eine Analogie zwischen dem Abriss der Kirche und der Kreuzigung JESU hergestellt, die Kirche wird zum Märtyrer erhoben.
Insgesamt entsteht nach dem Betrachten der Dokumentation der Eindruck, dass die Verbrechen des NS-Regimes eine harmlose Randnotiz, der Abriss der Kirchenruine dagegen ein schweres Verbrechen gewesen wäre. Sicher muss man die Sprengung der Kirche 1968 kritisch sehen, aber dieser Abriss ist nicht vergleichbar mit dem millionenfachen Leid, dass das NS-Regime verursacht hat.
DIE DOKUMENTATION – EIN BEITRAG ZUM EHRLICHEN UMGANG MIT GESCHICHTE?
Die Erläuterungen, die Dokumentarfilmer JOACHIM CASTAN auf der Filmpremiere am 8. April 2015 gegeben hat, unterstreichen diese Tendenz noch. CASTAN erklärte, dass die Kritiker des NS-Regimes zu oft "vom hohen Ross der Nachgeborenen" urteilen würden. Man müsste sich fragen, "wie hätte man reagiert, wenn man nicht gerade Kommunist oder Sozialdemokrat gewesen ist". HITLER würde zwar heute als Verbrecher gelten, aber "die Alternativen zur NS-Herrschaft wären eine kommunistische Räterepublik oder eine Militärdiktatur gewesen", und diese Alternativen wären auch nicht besser gewesen.
Alles in allem leistet die Dokumentation keine Aufarbeitung, sondern eine Verharmlosung der Geschichte. Umso befremdlicher ist es, dass dieser Film von Vertretern der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche und der Stiftung Garnisonkirche Potsdam gelobt und propagiert wird. Wer glaubwürdig für Frieden und Versöhnung eintreten will, der muss sich für einen ehrlichen Umgang mit der Geschichte einsetzen.
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Veröffentlicht von:
Bürgerinitiative Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche
